Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Stapelburg, Eckertal und Jungborn
28.01.2022
Am westlichen Nordrand des Harzes, im Dreieck zwischen Bad Harzburg, Vienenburg und Ilsenburg, erhebt sich ein
kleiner Hügel nahe der Autobahn. Fährt man daran vorüber, erkennt man oben den aufragenden Rest einer Burgmauer.
Löcher im Mauerwerk lassen ahnen, wo einst die Ritter Ausschau ins Harzvorland hielten. Die konnten allerdings nicht
ahnen, dass in einem späteren Jahrhundert hier eine gut bewachte Grenze verlaufen würde, die ein ganzes Land fast
ein Vierteljahrhundert teilte, ehe sie im Ergebnis einer historisch friedlichen Volksbewegung abgerissen wurde. Wenn ich
auf der Piste Richtung Goslar hier vorüber fahre, huschen sowohl Burgberg, als auch einstige Grenzzeichen, hastig am
Autofenster vorüber. Dieses kleine Nest namens Stapelburg, mit der Burgruine sowie dem Verlauf der einstigen Grenze,
wollte ich an einem diesig kalten Januartag einmal aus der Nähe sehen und zu Fuß, sowie mit neuer Hüfte, selbst
einmal erkunden. Bei meinen Fahrten zur Klinik und Reha fuhr ich am Ort stets nur vorüber, in den bunten Herbstwald
hinein. Heute pfeift ein eisiger Januarwind um die Ecken der alten Fachwerkhäuser, als wir die Blechkarossen in der
Dorfmitte, unterhalb der Kirche und nahe einem Miniaturturm vom Brocken, abstellen. Hier beginnt nämlich der kurze
Aufstieg hinauf zur Bugruine.
Am Hügel windet sich ein Weg über schräge Grashänge dezent nach oben. Kein Problem für die neue Hüfte. Nur den
eisigen Wind, dem auf halber Höhe nichts im Wege steht, spüre ich unangenehm im Gesicht. Eine steinalte Linde trotzt
den Naturgewalten und das wahrscheinlich schon seit einer kleinen Ewigkeit. Deshalb steht das majestätische Gewächs
auch unter Naturschutz und ihre weit ausladende Krone reicht bis zu einem Kriegerdenkmal für Gefallene des 1.
Weltkrieges. Um den dicken Stamm des Baumes wurde eine Bank gebaut und im Sommer ist dies sicher ein schönes
schattiges Plätzchen mit fantastischem Blick auf die nahen Bergkuppen. Von hier sind es nur noch ein paar Schritte und
einige Höhenmeter mehr bis zum kleinen Plateau, auf dem sich die Reste der Stapelburg erheben. Geschafft!
Irgendwie erscheint mir dieser Platz trostlos. Ist es der ungemütlich kalte Wind oder die nackte Wand aus Stein mit den
Gucklöchern? Keine Ahnung, mich fröstelt einfach und der Sonderstempel der Burg macht es auch nicht gemütlicher. Da
ist heißer Kaffee aus der Thermoskanne eine willkommene und wärmende Abwechslung. Den schlürfe ich „am Brunnen
vor der Mauer“ und beobachte, wie Groß und Klein an selbiger ihre Kräfte messen. Erinnerungen an die eigene Kindheit
erwachen und auch wieder das Bewusstsein, wie schnell Jahre vergehen können. Also genieße ich, trotz des kalten
Windes aus Westen, den Augenblick und den Blick hinab auf die Dächer des kleinen Dorfes zu Füßen des Hanges. Dann
bin ich der Erste auf dem Weg zur Linde und dann auch weiter zur Kirche. Der führt vorbei an einer Pferdekoppel, wo
die Tiere, inklusive eines Schimmels, dem kalten Wind trotzen. Keine Ahnung, wie die das machen. Ich jedenfalls bin
froh, wieder im Auto zu sitzen.
Während das eine Gefährt wieder Richtung Goslar rollt, gönne ich mir einen Abstecher zur anderen Seite von
Stapelburg, ins Örtchen Eckertal. Entlang des Flüsschens Ecker, das aus den Bergen fließt, verlief hier einst die Grenze,
die beide Orte sowie zwei unterschiedliche Systeme voneinander trennte. Am Ende der einzigen Straße, einer
Sackgasse, erreichen wir den Parkplatz. Ein wild überwucherter Bahndamm deutet darauf hin, dass hier vor vielen
Jahren eine Bahnstrecke war. Die Brücke über die Strasse existiert auch nicht mehr. Da hindurch, in Richtung Wald,
führen mich meine Schritte. Es ist die eigene Vergangenheit, die mich anregte, diesen Ort mitten im Wald zu sehen und
zu erkunden. Die Straße führt auch hier an einer großen Koppel entlang, auf der sich stolze Pferde tummeln oder in
Ruhe Gras kauen. Die letzten zweihundert Meter müssen wir auf matschigen Waldwegen zurücklegen, die der Regen
aufgeweicht hinterlassen hat. Dann plötzlich ein Rauschen, eine Brücke und ein kleines Holzhäuschen am Ufer. Die
Ecker plätschert verschlafen durch den Wald. Dies ist heute nur noch eine unsichtbare Trennlinie zwischen zwei
Bundesländern, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.
Vor über dreißig Jahren markierte dieses Wässerchen die Grenze zwischen West („Eiserner Vorhang“) und Ost
(„antifaschistischer Schutzwall“). Das eine so böse, wie das andere unsinnig. Jedoch danach fragten die Machthaber zu
beiden Seiten nicht. Ich stehe an einem Grenzpfahl, versuche zu verstehen und finde statt Antworten nur Fragen.
Immer noch. Seitdem die eine Seite ihr Feindbild verlor, wurde alles ganz anders, aber nichts wurde besser, doch das
Streben nach mehr Macht blieb. Die Spiele im Verborgenen um Einfluss und Rohstoffe haben sich nur verlagert und mit
der Digitalisierung sogar ein neues Medium gefunden. Spiele heißen heute nur anders, finden im Netz statt und werden
so immer effizienter verschleiert - das Böse dort, die Guten hier. Dumm nur, dass dem Volk im Augenblick viele
Ablenkungen versagt sind, ein Virus regiert und Politik(er) rat- und ideenlos aussehen lässt.
Wenige Meter weiter erreichen wir unser Ziel, eine Art Wiese: die ehemalige Kuranstalt Jungborn hier in Eckertal. Um
diese Jahreszeit entdeckt man einen trostlos erscheinenden Platz. Überall sind Büsche, Bäume und kahle Sträucher zu
sehen und mittendrin hölzerne Sitzgruppen und Info-Tafeln. Auf dem Gelände befand sich bis zum 2. Weltkrieg
Deutschlands erste Naturheilstätte. Auch nach dem Krieg wurde die Anlage weiter genutzt, doch wegen ihrer Nähe zur
Grenze in den 1960er Jahren vollständig dem Erdboden gleich gemacht. Heute erinnern nur noch einige Nachbauten
sowie wenige Relikte an die heilsamen Jahre im Wald. Das Logo der Heilstätte wurde in einem Stein am Rande
gestaltet, der die Elemente Licht, Wasser, Luft und Erde bzw. Lehm symbolisiert.
Wir machen eine Pause, genießen die Ruhe und schauen uns die nähere Umgebung an. Im Sommer sollen hier bunte
Blumen blühen und eine Feuerstelle verrät, dass man den Platz noch immer nutzen kann. Einige Meter weiter, etwas im
Gebüsch versteckt, stehen zwei rekonstruierte Luftlichthäuschen, die zum Wohnen der Kurgäste dienten. Ein Stapel Holz
ist an der Außenwand aufgeschichtet und eine Bank, aus Birkenholz gezimmert, steht vor dem anderen Häuschen. Es
scheint beinahe so, als würde manchmal hier noch Leben stattfinden, in welcher Form auch immer. Mir scheint auch,
dass dieser Ort zwar erinnert, aber irgendwie auch zu neuem Leben auffordert und einlädt, nach vorn in die Zukunft zu
schauen. Deshalb kommt auch bald die Idee auf, im Frühjahr wieder hierher zu kommen, um das Erblühen der Natur zu
erleben.
Für den Rückweg nutzen wir den Grenzweg, der durch das kahle Birkengestrüpp, entlang am Ufer der Ecker, führt und
so dem ehemaligen grünen Grenzverlauf folgt. Die ersten Schneeglöckchen und einen originalen alten Grenzpfahl werde
ich leider nicht mehr selbst sehen können. Meine Kunsthüfte streikt im moddrigen Boden, mit dem ich nicht
Bekanntschaft machen möchte. Mir bleibt nur der Weg zurück zum Parkplatz, auf dem wir hierher kamen. Dort werden
wir uns wieder treffen. Am Ende des Tages und vor dem Dunkelwerden gönnen wir uns noch einen kurzen Halt am
Denkmal zur Maueröffnung.
Ein Stein macht jene Stelle kenntlich, wo einst „die Mauer“ verlief und dass sie am 11. November`89, 16.00 Uhr,
zwischen Stapelburg und Eckertal geöffnet wurde. Ein kurzer „Blick in die Vergangenheit“ erinnert daran. Nur mit dem
Zitat von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ kann ich nichts anfangen, weil diese Worte unausgesprochen auch die
Melodie des Deutschlandliedes transportieren und damit auch jene Zeilen, die unweigerlich die düstere Zeit deutscher
Vergangenheit, ob gewollt oder nicht, rechtfertigen. Der fade falsche Beigeschmack wäre mit einer neuen gemeinsamen
Hymne vermeidbar gewesen, hätte man gewollt, dass Vergangenheit ehrlich aufgearbeitet wird. Ein Narr, der davor
seine Augen verschließt, der weg sieht, denn die Geister der dunklen Vergangenheit sind nicht tot, nein, sie schlafen
leider nur
- noch ….